Sunday, January 22, 2006

Freiheit und Individualität

Freiheit und der Aufbau von Individualität sind immer Ergebnis eines Befreiungskampfes und der individuellen Abgrenzung gegenüber Unterdrückung und Kontrolle durch die Gruppe und durch Autoritäten. Sogar die freiwillige Entscheidung, sich einer Autorität zu unterwerfen und diese Unterwerfung beizubehalten, so wie es in jeder freiwilligen Vereinigung der Fall ist, verkörpert immer solch einen permanenten Kampf.
Dieser Form unsrer Verhältnisse gegenüber zeigt sich Freiheit als ein fortwährender Befreiungsprozess, als ein Kampf nicht nur um die Unabhängigkeit des Ich, sondern auch um das Recht, selbst in der Abhängigkeit in jedem Augenblick mit freiem Willen zu beharren - als ein Kampf der nach jedem Siege erneuert werden muss. Die Ungebundenheit als negativ-soziales Verhalten ist also in Wirklichkeit fast niemals ein ruhender Besitz, sondern ein unaufhörliches Sichlösen aus Bindungen, die unaufhörlich das Fürsichsein des Individuums entweder real einschränken oder ideell einzuschränken streben; die Freiheit ist kein solipsistisches Sein, sondern ein soziologisches Tun, kein auf die Einzahl des Subjektes beschränkter Zustand, sondern ein Verhältnis, wenn auch freilich vom Standpunkt des einen Subjekts aus betrachtet.

Georg Simmel

1 comment:

Anonymous said...

"Freiheit wird nie geschenkt, nur gewonnen" - ein anschließender Gedanke Heinrich Bölls...
Mögen uns immer wieder neue Fesseln des Zwangs und des Alltags den Schritt in die gewählte und gewollte Richtung verwehren -
"aber Revolutionen haben bisher nur eines bewiesen, dass sich vieles ändern lässt, nur nicht der Mensch" (Marx).
Soll uns dies nun Resignation fühlen lassen? Gar misanthropisch werden lassen; oder zu einer Bestätigung führen? Vielleicht ist es der Sinn des ewigen Kampfes?
- "Die Sehnsucht nach dem Paradies ist das Verlangen des Mensch nicht Mensch zu sein" Kundera